Unmittelbare und mittelbare Auswirkungen von mechanischen Fließeigenschaften passiver Strukturen auf die Belastungsverteilung innerhalb der Wirbelsäule und auf das Risiko von Arbeitshandlungen

Projekt-Nr. FF-FP 0390

Status:

abgeschlossen 10/2019

Zielsetzung:

Die Belastungsverteilung auf Strukturen innerhalb der Wirbelsäule - mit Ausnahme des Bandscheibendruckes eine weiterhin unbeantwortete Frage - beim passiven Beugen der Lendenwirbelsäule (LWS) war im Fokus dieser kombinierten Experimental-Simulationsstudie. Die Kenntnis der Belastungsverteilung ermöglicht eine zielgerichtete Prävention von Rückenbeschwerden.

Aktivitäten/Methoden:

Experimentell wurde der Gesamtwiderstand der LWS beim Beugen mit einer Rumpf-Beuge-Maschine erfasst, der Zusammenhang von zunehmendem Drehmoment bei zunehmendem Beugewinkel wurden als lumbale Flexions-Charakteristik definiert. Mit einem Computermodell wurde in einer vorwärtsdynamischen Simulation die experimentelle Situation nachgebildet und die lasttragenden Strukturen des Modells bestimmt. Das Computermodell ist somit valide, um Voraussagen über Belastung und Lastverteilung der simulierten Elemente während der experimentellen Testsituation zu treffen. Belastungen werden dargestellt für Muskel-Sehnen-Einheiten, Bänder, Bandscheiben und Facettengelenke.

Neun weibliche und zehn männliche Versuchspersonen wurden untersucht. Bewegungen der LWS wurden mit einem markerbasierten Infrarotlicht-Messsystem erfasst. Der Beugewiderstand der LWS – das Drehmoment – wurde mit der Rumpf-Beuge-Maschine gemessen. Die Aktivierung der Rückenmuskeln lag im Bereich der Ruheaktivierung, so dass nennenswerte aktive Muskelkräfte ausgeschlossen werden konnten. Mittels eines mathematischen Modells wurde die nicht-lineare lumbale Flexions-Charakteristik beschrieben.

Ergebnisse:

Strecken der LWS nach vorangegangenem Beugen und reines Beugen unterscheiden sich signifikant. Beim Strecken wird ein größerer LWS-Winkel (aufgelöste Lordose) überstrichen, wenn die vorher beim Beugen erreichten Momente wirken. Dies weist auf fließende Eigenschaften der LWS hin, welche mit passiven Ermüdungsprozessen in Zusammenhang stehen können. Als Nebenergebnis konnten im Vergleich zwischen Simulation und Experiment die Steifigkeitswerte von Bändern und passiven Muskelbestandteilen neu bestimmt werden. Gegenüber Literaturdaten sind diese stark verringert. Trotz dieser Anpassung sagt das Modell in den meisten Situationen im Vergleich zu den Experimenten eine immer noch zu große Steifigkeit der LWS voraus. Eine tiefere Analyse von Literaturdaten zeigte, dass anatomische und mechanische Parameter der Rückenbänder defizitär dokumentiert sind.

Für zukünftige experimentelle Messungen entsteht daher der Anspruch, dass Ruhelängen von Bändern als sehr sensitive Parameter genannt sein müssen. Nur so können sie als Ausgangspunkt für weitere Simulationen verwendet werden. Das Modell kann Bandscheibendrücke valide berechnen. So können Bandscheibendrücke in verschiedenen (passiven) Beugewinkeln der LWS auf Ebene L4/5 vorausgesagt werden, die mit Werten der Literatur bei vergleichbaren Haltungen dokumentiert sind. Außerdem erklärt das Modell den Mechanismus, welcher auch ohne vorhandene externe Belastung zu großen Bandscheibendrücken führt: Einfaches Vorbeugen führt zu einer Dehnung dorsaler Strukturen wie Muskel-Sehnen-Einheiten und Bänder und damit zu einer starken Erhöhung des Bandscheibendrucks. Jegliche zusätzliche äußere Belastung oder aktive Muskelkräfte erhöhen die Belastung der Wirbelsäule weiter. Der Bandscheibendruck allein beschreibt die Belastungssituation nur unvollständig, alle anderen lasttragenden Strukturen müssen beachtet werden.

Dauerhaftes oder wiederholtes Beugen der LWS kann damit begründet als selbst regulierbarer Risikofaktor identifiziert werden (Verhaltensprävention). Alltagsaktivitäten wie dauerhaftes Sitzen oder wiederholtes Beugen des Rumpfes haben das Potenzial, Langzeiteffekte auszulösen und sollten daher – begründet – ergonomisch dosiert angewandt werden. Einfach ausgedrückt: Mit dem Modell lässt sich dauerhaftes Sitzen oder wiederholtes Vorbeugen als bedeutender Risikofaktor für Wirbelsäulenbelastung darstellen.

Stand:

13.04.2021

Projekt

Gefördert durch:
  • Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e. V. (DGUV)
Projektdurchführung:
  • Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e. V. (DGUV)
  • Universität Stuttgart
  • FSA GmbH
Branche(n):

-branchenübergreifend-

Gefährdungsart(en):

Mechanische Gefährdungen

Schlagworte:

Prävention, Beanspruchung, Muskel-Skelett-Erkrankungen (außer Krebserkrankungen)

Weitere Schlagworte zum Projekt:

mechanische Fließeigenschaften, Belastungsverteilung, Wirbelsäule