Vom 6. bis zum 9. Juni 2024 fanden die Europawahlen statt. Wie vorher prognostiziert, haben rechte Parteien deutliche Stimmenzuwächse verzeichnen können. Die Mehrheit der Parteien im Europäischen Parlament vertritt jedoch weiterhin pro-europäische Positionen. Zentral für die Mehrheitsbildung in der kommenden Legislatur wird die Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) sein, die stärkste Kraft wurde. Dadurch haben sich auch die Mehrheitsverhältnisse verschoben. Durch die neue Sitzverteilung wird es künftig keine proeuropäische Mehrheit mehr gegen die EVP geben, die zuvor häufig von der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten (S&D), der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE) und der Fraktion die Grünen/Europäische Freie Allianz (Grüne/EFA) bei sozialpolitischen Dossiers überstimmt wurde. Wie sich dies konkret auf die Sozial- und Beschäftigungspolitik auswirken wird, bleibt noch abzusehen.
Nach der Wahl findet nun eine Neubesetzung der Spitzenpositionen statt.
So soll die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas die Position der Hohen Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik („EU-Außenbeauftragte“) vom derzeitigen Vorgänger Josep Borrell übernehmen. Damit wäre sie auch gleichzeitig eine der Vizepräsidenten/innen der Europäischen Kommission. Sie wurde vom Rat als geeignete Kandidatin erwählt, muss allerdings von der neuen Präsidentin der Europäischen Kommission abgesegnet und dann zusammen mit den anderen neuen Kommissar/innen formal vom Europäischen Parlament bestätigt werden.
Für den Posten der Europäischen Kommissionspräsidentin wurde erneut Ursula von der Leyen für eine zweite Amtszeit vom Europäischen Rat nominiert. Sie benötigte für eine offizielle Amtserhebung jedoch die absolute Mehrheit des Europäischen Parlamentes, also 361 von 720 Stimmen. Zwar umfassten ihre anzunehmenden Unterstützer/innen der EVP, von ALDE und S&D insgesamt 401 Stimmen, aufgrund des nicht vorhandenen Fraktionszwanges im Europäischen Parlament war es für von der Leyen jedoch ungewiss, ob sie mit diesen allein die benötigte Mehrheit erlangen kann. Daher hatte sie in den vergangenen Wochen bereits Gespräche mit den Grünen/EFA geführt. Ob sie darüber hinaus auch Gespräche mit den Rechtskonservativen und Rechtsnationalen aufgenommen hatte und inwiefern dies ihre Mehrheit bei den Mitte-Parteien, die für diesen Fall teilweise den Rückzug ihrer Unterstützung angekündigt haben, beeinträchtigt haben mag, ist nicht bekannt.
Die Abstimmung fand jedenfalls am 18. Juli während der ersten Plenarsitzung des Europäischen Parlamentes vom 16. bis zum 19 Juli 2024 statt. Ursula von der Leyen wurde mit 401 von 720 Stimmen erfolgreich wiedergewählt und lag damit einerseits deutlich über dem Minimum der benötigten 361 Stimmen und erreichte andererseits um ungefähr 5% mehr Stimmen im Vergleich zu ihrer ersten Wahl vor fünf Jahren. Entscheidend für ihre Wiederwahl waren die Stimmen der Grünen/EFA, welche trotz Kritik an ihrem Programm für sie stimmten, um eine Kooperation mit den Rechtsnationalen zu verhindern.
In dieser ersten Plenarsitzung wurde zudem bereits am 16. Juli die neue Parlamentspräsidentin Roberta Metsola gewählt womit es Kontinuität in diesem Amt gibt. Als nächster Schritt werden die von den Mitgliedstaaten vorgeschlagenen Kommissarinnen und Kommissare im Europaparlament angehört und gewählt. Zusammen mit der Europäischen Kommissionspräsidentin bilden sie das Kollegium. Der Kommission kommt als einzige der Institutionen mit dem Initiativrecht eine zentrale Rolle für EU-Politik zu.
Des Weiteren wurde der Portugiese António Costa für eine Amtszeit von 2,5 Jahren zum Ratspräsidenten gewählt. Ist der Rat einverstanden mit seiner Arbeit, wird er vermutlich regulär danach erneut für weitere 2,5 Jahre gewählt. Seine offizielle Amtszeit beginnt am 1. Dezember 2024. Zu seinen Hauptaufgaben gehören die Organisation und Leitung von Ratssitzungen. Costa ist bisher vor allem für seine Beendigung der Austeritätspolitik und den damit einhergehenden positiven Wirtschaftsaufschwung in Portugal bekannt.
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