Nachtarbeit ist mit starken Veränderungen im Tagesrhythmus und somit auch dem Schlafrhythmus verbunden. Schichtsysteme, die Nachtarbeit beinhalten, können sich dabei stark unterscheiden. Der Frage, ob eine Arbeitszeitverdichtung mit 12-Stunden-Schichten verbunden mit längeren Freizeitblöcken vorteilhaft für den Schlaf sein kann, ging das IPA in einem Kooperationsprojekt nach.
Charakteristika von Schichtsystemen mit Nachtarbeit in Deutschland
Im Rahmen des Mikrozensus 2018 gaben 4,6 Millionen Beschäftigte in Deutschland an, innerhalb der letzten vier Wochen in Nachtarbeit gearbeitet zu haben (Statistisches Bundesamt 2019). Dabei gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Schichtsysteme, die Nachtarbeit beinhalten. Typische Formen sind Wechselschichtsysteme, bei denen in Früh-, Spät- und Nachtschichten von jeweils acht Stunden gearbeitet wird. Die Schichtfolge wechselt dabei beispielsweise wöchentlich oder alle zwei Tage. Darüber hinaus können Beschäftigte auch in 12-Stunden-Schichten mit Tag- und Nachtschichten im Wechsel tätig sein. Seltener setzen Unternehmen Beschäftigte dauerhaft nur in Nachtschichten ein. Man spricht dann von
Beschäftigung in Dauernachtschicht. Je nach Schichtsystem variieren auch die Konzepte für Ruhetage von einem bis zu vier freien Tagen am Stück. Für die Wahl der Schichtsysteme spielen sowohl unternehmerische Notwendigkeiten als auch private, organisatorische oder auch monetäre Präferenzen der Beschäftigten eine Rolle.
Nachtarbeit und Schlafdauer in der Leitlinie zu Schichtarbeit berücksichtigt
In der S2k-Leitlinie „Gesundheitliche Aspekte und Gestaltung von Nacht- und Schichtarbeit“ wurde bei der Analyse der Auswirkungen verschiedener Schichtarten auf den Schlaf auch auf nterschiedliche Schichtsysteme mit Nachtarbeit eingegangen (AWMF 2k Leitlinie 2020). In verschiedenen Studien zeigte sich eine verringerte Schlafdauer nach Nachtschichten im Vergleich zu Tagschichten. Es wird davon ausgegangen, dass bei rotierenden Schichten die Schlafdauer je nach Schichtart variiert. Insbesondere bei Spätschichten werden häufig längere Schlafdauern beobachtet. Insgesamt wurde jedoch in nur sehr wenigen Untersuchungen die Schlafdauer objektiv zum Beispiel mittels Aktigraphie (→ Info 1) erhoben. Zudem weisen die meisten Studien nur kleine Fallzahlen und häufig auch kurze Untersuchungszeiträume auf.
In wissenschaftlichen Studien wurden Schichten mit einer Dauer von mehr als acht Stunden mit erhöhter Schläfrigkeit in Verbindung gebracht. Dies kann zu erhöhten Fehlerraten und einem höheren Risiko für Unfälle führen (Wagstaff und Sigstad Lie 2011, Caruso 2014). Darüber hinaus verdichten sich die Hinweise, dass ein Leben gegen die innere Uhr gesundheitsschädlich sein kann (AWMF2k Leitlinie 2020). Studien zeigen negative Einflüsse von fehlendem oder gestörtem Schlaf und erhöhtem sozialen Jetlag (→ Info 3) auf den Stoffwechsel, das Immunsystem und das psychische Wohlbefinden (Keckl und Axelsson 2016). Zudem könnte sich das Risiko für verschiedene Erkrankungen wie koronare Herzerkrankungen oder Schlaganfälle erhöhen (Boivin et al. 2022, Roenneberg et al. 2023). Die Rolle von Erholungszeiten Je nach Schichtsystem können Schlafdefizite angehäuft werden. Einige Studien empfehlen beispielsweise mindestens drei Erholungstage nach Phasen mit 12-Stunden-Schichten von pflegendem Personal (Blasche et al. 2017, Haluza et al. 2019, Ropponen et al. 2017). Um verschiedene Schichtsysteme hinsichtlich der Erholungszeiten zu vergleichen und das Risiko für schädliche gesundheitliche Auswirkungen abzuschätzen, kann es sinnvoll sein, den Schlaf detaillierter zu betrachten. Neben der Schlafdauer nach bestimmten Schichten ist es auch von Interesse, die Gesamtschlafdauer über einen längeren Zeitraum zu untersuchen. Dies kann Hinweise auf angehäufte Schlafdefizite oder notwendige längere Erholungszeiten geben. Bei Schichtsystemen mit regelmäßigen Schichtfolgen bietet sich an, die Schlafdauer über einen Rotationszyklus des Schichtsystems (→ Info 2) zu beobachten. Eine solche Betrachtung bietet die Möglichkeit, die Schlafdauer auch über mehrere Wochen inklusive der Erholungstage bei unterschiedlichen Schichtsystemen zu vergleichen. Studie zu Schichtsystemen mit Nachtarbeit in Kooperation mit der BAuA In einem Kooperationsprojekt untersuchte das IPA gemeinsam mit der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), wie sich unterschiedliche Schichtsysteme und Schichtlängen auf die Schlafstruktur an Arbeits- und freien Tagen auswirken (Casjens et al. 2022).
Dabei erfolgten objektive Schlafmessungen über einen Zeitraum von 28 Tagen mit Hilfe von Aktigraphiegeräten (→ Info 1). Untersucht wurden insgesamt 3.865 Schlafepisoden von 129 Beschäftigen in zwei Industriebetrieben. Diese arbeiteten entweder in rotierenden Schichtsystemen mit 8-Stunden-Schichten (Früh-, Spät- und Nachtschichten) oder 12-Stunden-Schichten (Nacht- und Tagschichten) oder in Dauernachtschichten. In den Schichtsystemen mit reinen Nachtschichten waren die Wochenenden arbeitsfrei. Im 8-Stunden-Schichtbetrieb wurde sechs bis sieben Tage vorwärts rotierend mit jeweils zwei gleichen Schichten nacheinander gearbeitet (Früh-, danach Spät-, dann Nachtschicht). Daran schlossen sich zwei bis drei Ruhetage an. Im 12-Stunden-Schichtbetrieb umfasste eine Woche nur Tagschichten und die nächste nur Nachtschichten. Hier lag zwischen zwei Schichten in der Regel ein zusätzlicher Ruhetag. Im Schichtsystem mit Dauernachtschicht und 8-Stunden-Wechselschicht ergaben sich acht Erholungstage innerhalb von vier Wochen. Im Schichtsystem mit 12-Stunden-Schichten mit Tag- und Nachtschichten im Wechsel waren es dreizehn Erholungstage.
Ergebnisse zu Gesamtschlafdauer, Schlafdefizit und sozialem Jetlag
Hinsichtlich der Gesamtschlafdauer über 28 Tage wurden keine Unterschiede zwischen den Schichtsystemen beobachtet. Die mittlere tägliche Schlafdauer von 6,5 Stunden über den Gesamtzeitraum unterschied sich zwischen den Schichtsystemen nicht. Jedoch unterschieden sich die Schlafdefizite je nach Schichtart und verschiedenen Schichtsystemen. Schlafdefizite waren in Verbindung mit Nachtschichten am höchsten und mit Spätschichten am niedrigsten. Bei Beschäftigten in 12-Stunden-Schichten wurde mit fünf Stunden die geringste Schlafdauer an Arbeitstagen beobachtet. Sie wurden durch längeren Schlaf von acht Stunden an arbeitsfreien Tagen kompensiert. Dies entspricht einem Schlafdefizit von drei Stunden. Beschäftigte in Dauernachtschichten hatten ein Schlafdefizit von 2,5 Stunden und Beschäftigte in 8-Stunden-Wechselschichten von weniger als zwei Stunden.
Im Gegensatz zur Schlafdauer misst der soziale Jetlag (→ Info 3) die zeitliche Verschiebung des Schlaf-Wach-Rhythmus zwischen Arbeitstagen und arbeitsfreien Tagen. Er zeigt den Konflikt zwischen biologischer und sozialer Uhr auf. Dieser ist besonders ausgeprägt, wenn Beschäftigte aufgrund von Nachtschichten an Arbeitstagen tagsüber und an freien Tagen nachts schlafen. Der Konflikt zeigte sich auch in dieser Studie. Insgesamt betrug der soziale Jetlag bei Nachtschichten etwa 5,5 Stunden, bei Frühschichten zwei Stunden und bei Spätschichten eine Stunde. Entsprechend war der Jetlag bei Beschäftigten in Dauernachtschicht am stärksten ausgeprägt.
Vergleicht man den sozialen Jetlag der Beschäftigten in verschiedenen Schichtsystemen mit dem absoluten sozialen Jetlag (→ Info 3), fällt dieser bei Beschäftigten in rotierendem Schichtsystem mit 12-Stunden-Schichten doppelt so hoch wie bei 8-Stunden-Schichten (3,7 Stunden versus 1,8 Stunden) aus. Dies deutet auf einen stärkeren Konflikt zwischen biologischer und sozialer Uhr bei überlangen Schichten hin. Schichtart: Durch Beginn und Ende bestimmte Arbeitsschicht (meist Frühschicht, Spätschicht oder Nachtschicht) Dauernachtschicht: Ein Schichtsystem, in dem Beschäftigte ausschließlich in Nachtschichten tätig sind. Rotationszyklus eines Schichtsystems: Zeitraum nach dem sich für alle Schichtgruppen die Schichtfolgen zu wiederholen beginnen. Schichtsystem: Zeitraum, nach dem sich die Schichtfolgen für alle Schichtgruppen zu wiederholen beginnen.
Fazit
Die Studie des IPA zeigt, dass sich die Gesamtschlafdauer bei unterschiedlichen Schichtsystemen mit Nachtarbeit über einen längeren Zeitraum nicht unterscheidet. Betrachtet man unterschiedliche Schichtsysteme mit Nachtarbeit, kann das Schlafdefizit über einen längeren Zeitraum durch ausreichende Erholungszeiten ausgeglichen werden. Allerdings können bei Dauernachtschichten und bei Schichtsystemen mit Nachtschicht in 12-Stunden-Schichten kurzfristige Schlafdefizite und ein erhöhter sozialer Jetlag auftreten. Sie können mit einer erhöhten Belastung der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten einhergehen.
Schichtarbeit mit Nachtarbeit ist mit veränderten Tagesrhythmen und somit geänderten Schlafzeiten verbunden.
Das IPA untersuchte die Schlafdauer von Beschäftigten in verschiedenen Schichtsystemen mit Nachtarbeit über einen Zeitraum von vier Wochen.
Dauernachtschicht und Nachtarbeit mit 12-Stunden-Schichten waren mit einem höheren zeitweisen Schlafdefizit und sozialem Jetlag verbunden. Die Gesamtschlafdauer unterschied sich in den verschiedenen Schichtsystemen jedoch nicht.
Dr. Sylvia Rabstein
Dr. Swaantje Casjens
IPA
Aktigraphie
In der Aktigraphie kommen Messgeräte zum Einsatz, die Bewegungen mit speziellen Sensoren aufzeichnen. Meist werden Aktigraphiegeräte wie eine Armbanduhr am Handgelenk oder am Fuß getragen. Messungen werden anhand von Algorithmen ausgewertet, die zum Beispiel Alter, Geschlecht und Gewicht der Person berücksichtigen.
Schichtart: Durch Beginn und Ende bestimmte Arbeitsschicht (meist Frühschicht, Spätschicht oder Nachtschicht)
Dauernachtschicht: Ein Schichtsystem, in dem Beschäftigte ausschließlich in Nachtschichten tätig sind.
Rotationszyklus eines Schichtsystems: Zeitraum nach dem sich für alle Schichtgruppen die Schichtfolgen zu wiederholen beginnen.
Schichtsystem: Zeitraum, nach dem sich die Schichtfolgen für alle Schichtgruppen zu wiederholen beginnen.
Sozialer Jetlag
Der soziale Jetlag beschreibt die zeitliche Verschiebung des Schlafrhythmus an freien Tagen und dem oft durch die Arbeitszeit und soziale Teilhabe bestimmten Schlafrhythmus an Arbeitstagen. Er wird durch die Differenz der Schlafzeitmittelpunkte an Arbeits- und Werktagen unter Berücksichtigung des vermehrten Schlafs an freien Tagen errechnet.
Absoluter sozialer Jetlag
Der absolute soziale Jetlag beschreibt den sozialen Jetlag über mehrere Schichtarten hinweg und wird als Durchschnitt des sozialen Jetlags über alle Arbeitstage des Rotationszyklus hinweg errechnet.