abgeschlossen 03/2022
Beim Einsatz kollaborierender Roboter sind im Kollisionsfall die biomechanischen Grenzwerte der Norm ISO/TS 15066, bzw. DGUV Information 080 des Fachbereichs Holz und Metall der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e.V. (DGUV) für die Sicherstellung der Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit einzuhalten. Das muss vor Inbetriebnahme eines Kollaborierenden-Roboter-Arbeitsplatzes messtechnisch überprüft werden, ebenso bei wiederkehrenden Prüfungen entsprechend §14 Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV).
In früheren Projekten konnten mithilfe von Literaturrecherchen vereinfachte Gewebemodelle abgeleitet werden; 29 definierte Körperstellen wurden hierzu auf zwölf definierte Körperregionen aufgeteilt. So ließen sich komplexe Körpereigenschaften auf ein einfaches System aus zwei Kompressionselementen übertragen und mithilfe eines Messgerätes in der Praxis die Verformbarkeit von kollidierenden Körperstellen simulieren. Für die messtechnische Praxis werden die biomechanischen Eigenschaften der verschiedenen Körperstellen durch Federn und Gummimaterialien bzw. deren Kombinationen abgebildet. Problematisch dabei ist die große Variantenvielfalt. Messgeräte mit auswechselbarer Feder sind unhandlich oder es muss für jede Federkonstante ein separates Messgerät beschafft werden. Daher kommen in der Regel bei Messungen in den Betrieben nur zwei Federn mit der härtesten Federkonstante zum Einsatz. Folge ist eine Fehleinschätzung der tatsächlichen Gefahrensituation am Kollaborierenden-Roboter-Arbeitsplatz mit daraus resultierender ungünstiger Programmierung der Sicherheitsparameter an der Anlage, die zu einer höheren Belastung als zulässig führen kann.
Eine Stichprobenauswertung neuerer Studien der Berufsgenossenschaft Holz und Metall (BGHM) und der DGUV zur kollaborierenden Robotik (FP411 & FP430) hat ergeben, dass für einige Körperstellen die Übereinstimmung der biomechanischen Kennlinien mit den zurzeit im Messgerät eingesetzten Kombinationen aus Feder und Gummimaterial nicht optimal ist und die Gewebeeigenschaften nicht hinreichend abgebildet werden. Eine Anpassung des messtechnischen Konzepts und eine Evaluierung der Kompressionscharakteristik ist erforderlich. In diesem Zusammenhang sollen auch die Variantenvielfalt analysiert und Verbesserungskonzepte zur Vereinfachung erstellt werden.
Zum einen wurden in Kooperation mit Fraunhofer IFF die an Probanden erhobenen Messdaten aus den Studien der BGHM und der DGUV zur kollaborierenden Robotik auf ihre Kennlinien-Charakteristika hin analysiert. Hierzu wurde für jede Körperstelle ein biomechanischer Korridor bestimmt und daraus typische Steifigkeitsparameter abgeleitet, die zur korrekten Bewertung von mechanischen Gefährdungen in Messmitteln verwendet werden sollen. Dadurch ist es nun möglich, die empirisch gewonnenen Grenzwerte mit den zugehörigen realen biomechanischen Eigenschaften des Menschen auf den Messmitteln abzubilden und somit korrekte Bewertungen durchzuführen.
Zum anderen wurde die Gesamtanzahl durch eine Clusterung der 29 Körperstellen so reduziert, dass in der messtechnischen Praxis eine praktikable Variantenanzahl verwendet werden kann, was zu einer einfacheren Umsetzbarkeit in den Betrieben führt. Die fünf ermittelten Varianten wurden am IFA unter Berücksichtigung von Messunsicherheiten auf den Kraft-Druck-Messgeräten umgesetzt und erprobt. Zur Validierung sind Messungen mit einem Stoßpendel sowie an drei Robotermodellen durchgeführt worden. Zusätzlich wurde am IFA eine Umrechnungstabelle erstellt, die durch eine energetische Betrachtung, eine optimierte und vereinfachte Evaluierung ermöglicht.
Zu den in FP411 und FP430 ermittelten empirischen Grenzwerten konnten insgesamt 24 biomechanische Korridore ermittelt werden, wobei die dominante und nicht dominante Körperseite jeweils zusammengelegt wurden. Die Kraft-Deformationsdaten stammen aus Untersuchungen mit einem F-Q10 Stößel, der zur Bestimmung der Druckgrenzwerte für den kantigen Kontakt verwendet wurde. Die Kraftgrenzwerte wurden mit einem elastischen Stößel (FZ30) ermittelt, so dass noch eine Skalierung für den stumpfen Kontakt notwendig war. Aus den biomechanischen Korridoren konnten Steifigkeiten, die in Messmitteln verwendet werden sollen, hergeleitet werden. Beispielsweise ergab sich aus den Messungen am Unterarmmuskel, für das 75. Perzentil des Schmerzeintritts bei stumpfem Kontakt, eine Kraft von 170 N bei einer mittleren Steifigkeit von 21 N/mm.
Für die praktische Umsetzung wurden die Körperstellen zu fünf Clustern zusammengelegt. Der Kurvenfuß des Korridors wurde dabei vernachlässigt. Die Cluster verteilen sich etwa logarithmisch zwischen steif 150 N/mm bis sehr weich 10 N/mm, wobei jeweils ein 7 mm dickes Gummimaterial mit einer Shore-Härte A von 70 als Auflage verwendet wurde, sodass die reale Federrate durch die Reihenschaltung der beiden Kompressionselemente etwas abnimmt. Die Auflage und die verwendeten Federn sind bereits in Messgeräten auf dem Markt erhältlich. Beispielsweise bildet ein Messgerät mit einer 25 N/mm-Feder und der Auflage die Steifigkeit am Unterarmmuskel gut ab. Insgesamt wurden für die Cluster Fehler von maximal 25 % zugelassen.
Zudem ist zur besseren Vergleichbarkeit und Optimierung eine energetische Umrechnungstabelle erarbeitet worden, sodass potenzielle Abweichungen wieder ausgeglichen werden können und wenige Verluste auftreten. Neben der Verwendung einer der beiden härtesten Federn ist die Verwendung einer der beiden weichen Varianten zu empfehlen, da diese das Weichgewebe besser nachbilden. Mit den richtigen Einstellungen der Sicherheitsparameter von kollaborierenden Robotern kann eine unnötige Belastung des Menschen, durch eine falsche Regelung, vermieden werden.
Nun werden die Erkenntnisse in eine vereinfachte Messspezifikation mit reduzierter Anzahl an Messungen überführt und dienen als Grundlage für die internationale Normung. Exemplarische Messungen an verschiedenen Robotermodellen ergaben, dass bei leichten Modellen und stumpfem Kontakt im Hand- und Armbereich Geschwindigkeiten bis 400 mm/s erreicht werden können, bei größeren effektiven Massen oder kantigen Konturen nehmen die zulässigen Geschwindigkeiten jedoch ab.
-branchenübergreifend-
Gefährdungsart(en):Mechanische Gefährdungen
Schlagworte:Maschinensicherheit, Mechanische Gefährdung, Prüfverfahren
Weitere Schlagworte zum Projekt:Mensch-Roboter-Kollision, Kollaborierende Roboter, Kraft-Druck-Messgeräte, Kraft-Leistungsbegrenzung, Messverfahren, Kraftmessung, Druckmessung, EN ISO 10218, DIN ISO TS 15066, mechanische Gefährdungen
Behrens, R.; Zimmermann, J.; Wang, Z.; Herbster, S.; and Elkmann, N.: Development of Biomechanical Response Curves for the Calibration of Biofidelic Measuring Devices Used in Robot Collision Testing. J Biomech Eng. 146 (2024) No. 4 https://doi.org/10.1115/1.4064448
Behrens, R., Zimmermann, J.: Bestimmung biomechanischer Korridore zur Bewertung von mechanischen Gefährdungen und Ableitung von Steifigkeitsparametern für zukünftige Messmittel, IFA Report 02/2022, Berlin, April 2022
Behrens, R., Zimmermann, J.:Determination of Biomechanical Corridors for the Evaluation of Mechanical Hazards and extimation of Stiffness Parameters for Future Measurement Devices, Abschlussbericht zum Forschungsprojekt des Fraunhofer IFF und das IFA (2021)
Zimmermann, J.: Human body elasticity: corridors and limits (Vortrag), Robotics/Collaborative safety, Vision Zero Summit Japan, online, 11.-13.05.2022
Zimmermann, J.: Körperelastizität: Grenzwerte und Trends (Vortrag), Kollaborierende Robotersysteme und Assistenzsysteme, 37. Internationaler A+A Kongress für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Düsseldorf 26.-29.10.2021
Behrens, R. et al: A Statistical Model to Determine Biomechanical Limits for Physically Safe Interactions With Collaborative Robots, Front. Robot. AI, 03.02.2022