Reduktions- und Präventionsansätze zu Belastungen durch Personentransport im Rettungsdienst, Krankentransport, Behindertenbeförderung und Bestattungswesen

Projekt-Nr. IFA 0505

Status:

abgeschlossen 12/2023

Zielsetzung:

Laut Daten des Statistischen Bundesamtes werden Menschen in Deutschland immer schwerer. Dies hat Konsequenzen für die eigene Gesundheit, aber beeinflusst berufsbedingt auch die Gesundheit anderer Menschen. Beim Krankentransport, bei der Behindertenbeförderung, im Rettungsdienst und von Bestattungsunternehmen werden regelmäßig Personen transportiert. Während die Hilfsmittel mittlerweile häufig an schwergewichtige Personen angepasst werden, stand die physische Belastung der Beschäftigten beim Transport bisher kaum im Fokus. Die transportierten Personen werden mit einem Transportmittel meist gefahren oder über Teile des Transportweges getragen. Aufgrund unterschiedlicher Umgebungen, verschiedener eingesetzter Transportmittel/Hilfsmittel und des Zustands der Personen (bspw. unkooperativ oder ohne Muskeltonus) sind die Arbeitsbedingungen beim Transport einer Person nicht pauschal zu beurteilen. Verfügbare Transportmittel bieten neben den funktionalen Aspekten zur besseren Patientenversorgung zunehmend auch Eigenschaften, die eine Reduktion der Belastung durch Lastenhandhabung zum Ziel haben. Fest steht, dass bspw. im Rettungsdienst 30 % der Beschäftigten überdurchschnittlich oft von Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes betroffen sind. Dies deutet auf eine hohe körperliche Belastung unter anderem durch das Heben und Tragen von Personen hin. Am Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA) wurden in einer ersten Studie mit Rettungskräften Messdaten für die physischen Belastungen beim Patiententransport in Treppenhäusern unter Einsatz verschiedener Transportmittel erhoben (Projekt-Nr. IFA 4219 und 4224). Der Personentransport beschränkt sich jedoch nicht auf die Überwindung von Treppenhäusern. Er besteht vielmehr aus einer Transportkette, vom Antreffen der Person über den Transport zum Fahrzeug und Aufnahme in das Fahrzeug bis hin zur Übergabe am Zielort – mit unterschiedlichen Transportmitteln. Bislang fehlte es an einer umfassenden Analyse der Tätigkeiten im Personentransport, um physische Belastungsschwerpunkte in der Transportkette im Bereich der Krankentransporte, Behindertenbeförderung, Rettungsdienste und bei Bestattungsunternehmen zu identifizieren. Mithilfe einer Beschäftigtenbefragung in den Branchen sollten zunächst Belastungsschwerpunkte identifiziert und Forschungsbedarf an den Stellen aufgedeckt und priorisiert werden. Mit messtechnischen Analysen sollten die Belastungen für ausgewählte Situationen aufgezeigt und verschiedene Hilfsmittel in vergleichenden Messungen auf mögliche Entlastungspotentiale untersucht werden. Die Ergebnisse der Untersuchungen sollen im Sinne der Prävention zur Reduktion von Belastungen des Muskel-Skelett-Systems genutzt werden.

Aktivitäten/Methoden:

Im Rahmen der Befragung in den Mitgliedsunternehmen wurden zwei Belastungsschwerpunkte in der Transportkette identifiziert: Zum einen das Ein- und Ausladen von Fahrtragen in ein Fahrzeug und zum anderen das Sichern von Rollstühlen im Fahrzeug. Mit Fokus auf die beiden Transportsituationen wurde eine Literaturrecherche durchgeführt, um den Stand der Technik und der Wissenschaft zu erheben und Forschungslücken für die Untersuchungsfragen zu identifizieren. Im Rahmen der Untersuchung wurden konventionelle Hilfsmittel mit alternativen Hilfsmitteln verglichen, bei denen eine entlastende Wirkung vermutet wird. An den Messungen nahmen 20 Probanden aus dem Rettungsdienst und zehn Probanden aus der Behindertenbeförderung teil. Auf Basis von mobiler Bewegungserfassung und Kraftmessung wurden die Muskel-Skelett-Belastungen durch das CUELA-Verfahren unter Laborbedingungen erfasst und bewertet. Untersucht wurden das Aufschaukeln sowie das Ein- und Ausladen von Fahrtragen in das Einsatzfahrzeug. Dabei wurde eine konventionelle manuelle Fahrtrage mit Tragentisch mit einer moderneren Fahrtrage mit automatischem Einzug sowie einer elektrohydraulischen Fahrtrage mit Gleitschlitten-Einschub verglichen. Die Hilfsmittel wurden für die Messungen modifiziert, um die Aktionskraftmessung an der üblichen Griffposition zu ermöglichen. Für die Behindertenbeförderung wurde die Rollstuhlsicherung im Fahrzeug an Rollstühlen mit und ohne Kraftknotensystem (ein Sicherungsadaptersystem für Rollstühle) in den zwei Szenarien leeres und voll besetztes Fahrzeug verglichen. Sowohl auf den Fahrtragen als auch in den Rollstühlen befanden sich 75 kg schwere Dummys.

Ergebnisse:

An der Online-Befragung zur Ermittlung von als belastend empfundenen Arbeitssituationen nahmen 4.083 Beschäftigte aus den vier Branchen teil, was ein unerwartet hohes Interesse bei den Beschäftigten widerspiegelt. Neben dem Überwinden von Treppen und Engstellen wurden das Ein- und Ausladen ins und das Sichern im Fahrzeug als physische Belastungsschwerpunkte im Rettungsdienst, Krankentransport und Bestattungswesen empfunden. In der Behindertenbeförderung wird die physische Belastung generell geringer eingestuft, wobei hier der Belastungsschwerpunkt beim Sichern des Rollstuhls im Fahrzeug angegeben wird. Die Tätigkeiten an manuellen Fahrtragen sind physisch belastend, was sich in den Werten der gemessenen Lumbalmomente und Kompressionskräfte im unteren Lendenwirbelbereich widerspiegelt. Die Analyse des Ein- und Ausladens der manuellen Fahrtrage zeigt im Vergleich zur vollautomatischen Fahrtrage eine Reduktion der Lumbalmomente an L5/S1 im Median von 107 Nm auf 51,6 Nm und bei den Kompressionskräften an L5/S1 im Median von 2,9 kN auf 1,6 kN und im P95-Wert von 5,6 kN auf 2,7 kN. Die Lumbalmomente an L5/S1 werden bei der manuellen Fahrtrage nach Tichauer als schwere Tätigkeit bewertet. Diese werden mit der vollautomatischen Fahrtrage reduziert, da kein Gewicht mehr angehoben werden muss. Mit Blick auf die revidierten Dortmunder Richtwerte übersteigt die manuelle Fahrtrage mit dem P95-Wert die Richtwerte für Frauen und Männer im Alter von 20 Jahren. Die Sicherung von Rollstühlen im Fahrzeug ist körperlich anstrengend für ältere Beschäftigte. Die Beschäftigten knien oder hocken vor dem Rollstuhl, um die Sicherungsgurte am Rollstuhl zu befestigen. Die Sicherungsdauer und damit auch die Dauer in kniebelastender Haltung und nicht neutraler Oberkörpervorneigung kann durch das Kraftknotensystem am Rollstuhl signifikant verkürzt werden, was die Studienteilnehmenden als entlastend empfunden haben. Für eine typische Arbeitsschicht mit der Sicherung von je drei Rollstühlen bei zwei Fahrten reduziert sich die Tätigkeitsdauer von 49,1 min auf 27,3 min. Dabei wird die Dauer in kniebelastender Haltung von 7,5 min auf 4,1 min und die Dauer in nicht neutraler Oberkörpervorneigung von 31,9 min auf 15 min reduziert. Der subjektive Eindruck der Probanden stimmte in allen drei Messungen mit den Messergebnissen überein. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass am Markt verfügbare technische Weiterentwicklungen von Hilfsmitteln physische Belastungen bei den Beschäftigten reduzieren können. Die Ergebnisse sollen in einem IFA Report und in nationalen Publikationen dokumentiert und auf Veranstaltungen präsentiert werden.

Stand:

22.04.2024

Projekt

Gefördert durch:
  • Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e. V. (DGUV)
Projektdurchführung:
  • Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA)
  • BG-übergreifend
  • UV-übergreifend
Branche(n):

Gesundheitswesen

Gefährdungsart(en):

Arbeitsbedingte Erkrankungen, Handhabung von Lasten

Schlagworte:

Ergonomie, Heben und Tragen von Lasten, Muskel-Skelett-Erkrankungen (außer Krebserkrankungen)

Weitere Schlagworte zum Projekt:

Personenbeförderung, Personentransport, Heben und Tragen, Prävention, Transportmittel

Kontakt

Weitere Informationen

Damit Helfen nicht zur Belastung wird in SicherheitsProfi der BG Verkehr (https://www.bg-verkehr.de/redaktion/medien-und-downloads/sicherheitsprofi/sipro-pv-3-2021-web.pdf) Fachgespräch Ergonomie (Vortrag mit Artikel) Sankt Augustin, 06. – 07.12.2022 Institut für Arbeitsschutz & Institut für Arbeit und Gesundheit der DGUV Dr. Stephanie Griemsmann1, Inga Schultes1, Ingo Hermanns-Truxius1, Mark Brütting1, Christian Ecke2, Matthias Koch3, Dr. Gabriele Winter4, Ulrich Koch5, Dr. Manigée Derakshani5, Dr. Christoph Schiefer1 Prävention im Personentransport 69. Kongress der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft - Nachhaltig Arbeiten und Lernen Hannover, 01. – 03.03.2023 Gesellschaft für Arbeitswissenschaft e.V. Stephanie Griemsmann, Mark Brütting, Christian Ecke, Matthias Koch, Gabriele Winter, Manigée Derakshani, Ulrich Koch, Christoph Schiefer Identifikation von körperlichen Belastungen beim Personentransport – Ergebnisse der Befragung von Beschäftigten aus dem Rettungsdienst, dem Krankentransport, der Behindertenbeförderung und dem Bestattungswesen 69. Kongress der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft - Nachhaltig Arbeiten und Lernen Hannover, 01. – 03.03.2023 Gesellschaft für Arbeitswissenschaft e.V. Christoph Schiefer, Stephanie Griemsmann, Ingo Hermanns-Truxius, Inga Schultes, Mark Brütting, Christian Ecke, Matthias Koch, Gabriele Winter, Ulrich Koch, Manigée Derakshani, Britta Weber, Kai Heinrich, Rolf Ellegast Lendenwirbelsäulenbelastungen beim Einsatz von Fahrtragen im Personentransport Griemsmann, S., Ecke, C., Koch, M. et al. Physische Belastungen bei Beschäftigten in der Personenbeförderung – Ergebnisse einer Online-Befragung. Z. Arb. Wiss. (2023). https://doi.org/10.1007/s41449-023-00387-1 View-Only link: https://rdcu.be/drdmO 8. Internationale A+A Kongress und Herbstkongress der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft - Menschengerechte Arbeitsgestaltung - Basisarbeit und neue Arbeitsformen Christoph Schiefer Muskel-Skelett-Belastungen in Gesundheitseinrichtungen (Chair: Claus Backhaus)