abgeschlossen 12/2016
Reizwirkungen und Geruchsbelästigungen durch chemische Arbeitsstoffe sind für die Präventionsarbeit der Unfallversicherungsträger von zentraler Bedeutung, da nahezu die Hälfte aller Arbeitsplatzgrenzwerte auf der Vermeidung von Reizungen an den Augen und den oberen Atemwegen beruht. Als Faktoren ungünstiger Arbeitsbedingungen, wie z. B. auch Lärm, Klima, Beleuchtung, geraten Arbeitsstoffe mit einem besonders unangenehmen Geruch immer wieder in den Verdacht, die Gesundheit und auch die Arbeitsleistung zu beeinträchtigen. Die Ergebnisse experimenteller Studien zur Wirkung von Geruchs- und Reizstoffen auf die Arbeitsleistung sind jedoch nicht eindeutig. Unabhängig von der Qualität des Geruchs (angenehm vs. unangenehm) oder der Arbeitsbelastung (leichte vs. schwierige Aufgaben) findet man sowohl eine Verschlechterung der Leistung als auch eine Verbesserung oder gar keine Veränderung. Die Theorie der Ablenkung (Distraktion) besagt, dass die Verarbeitungskapazität des Gehirns beschränkt ist, wenn es sich auf eine Arbeitsaufgabe konzentrieren muss und gleichzeitig sensorische Informationen verarbeiten soll. Eine Überprüfung dieser Theorie ist mithilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) möglich. Mit diesem bildgebenden Verfahren wird die Aktivierung der Gehirnregionen, die an der Bewältigung der beiden Aufgaben beteiligt sind, über Blutflussveränderungen sichtbar gemacht. Die neuronalen Prozesse, die der Interaktion von Aufgabenschwierigkeit und Ablenkung bzw. Beeinträchtigung der Aufmerksamkeit zugrunde liegen, sind - insbesondere für die Wirkung von Gerüchen - noch sehr wenig untersucht. Ziel des Forschungsprojektes war die Untersuchung der Geruchs- und Reizwirkungen von unterschiedlichen Arbeitsstoffen im Hinblick auf die Beeinträchtigung der Arbeitsleistung. Dabei wurde untersucht, ob und unter welchen Rahmenbedingungen (Expositionshöhe, Aufgabenschwierigkeit) adverse Effekte auftreten. Zudem wurde die individuelle Empfindlichkeit berücksichtigt und das Zusammenwirken von Belastungsfaktoren, wie z. B. Gestank und Stress, untersucht. So kann das bisherige Wissen über den Umgang mit Gefahrstoffen am Arbeitsplatz erweitert und in der Präventionsarbeit, z. B. bei der Arbeitsplatzgestaltung oder der Information über Arbeitsstoffe, genutzt werden.
Im Rahmen des Forschungsprojektes bearbeiten freiwillige Studienteilnehmer Gedächtnisaufgaben mit unterschiedlichen Schwierigkeitsstufen, während sie in einem Kernspintomographen (MRT) liegen. Gleichzeitig werden ihnen an der Nase verschiedene Konzentration eines Arbeitsstoffes dargeboten, angefangen von nicht wahrnehmbaren Konzentrationen unterhalb der Geruchsschwelle, bis hin zu Konzentrationen oberhalb der Irritationsschwelle, die als reizend an Augen und/oder Nase, "extrem" unangenehm und "erheblich" belästigend bewertet werden. Zur Applikation der Geruchs- bzw. Reizstoffe wird ein computergesteuertes Flussolfaktometer entwickelt, mit dem quantitativ präzise Stoffkonzentrationen erzeugt werden können, was mit den bislang verfügbaren Geräten nicht möglich ist. Zudem wird die Untersuchung der funktionellen Konnektivität bestimmter Hirnregionen im Ruhezustand sowie der Bestimmung von GABA als Biomarker für die Identifikation und Charakterisierung von empfindlichen Personengruppen genutzt. Mittels fMRT können nicht nur einzelne Gehirnregionen, sondern auch ganze Netzwerke, wie hier das Geruchsnetzwerk oder auch das Schmerznetzwerk, untersucht werden. Wir vermuten, dass eine hohe Konnektivität, d. h. eine gute Vernetzung zwischen bestimmten Hirnregionen, mit einer erhöhten Empfindlichkeit einhergeht. Zusätzlich interessiert uns die Frage, ob ein Zusammenhang zwischen der Geruchsempfindlichkeit und den individuellen Schmerzschwellen besteht. Zudem untersuchen wir die lokale GABA-Konzentration des insulären Kortex. GABA ist der wichtigste hemmende Neurotransmitter im menschlichen Gehirn. Veränderungen der lokalen GABA-Konzentrationen haben einen Einfluss auf die neuronale Erregbarkeit und, so die Hypothese, auf die Geruchsempfindlichkeit bzw. die Schmerzschwellen.
Mit dem Bau eines Olfaktometers, das erstmalig eine präzise quantitative Exposition in Verbindung mit der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) erlaubt, steht der DGUV nun eine weitere Humanuntersuchungsmethode für die Reizstoffforschung zur Verfügung. Hiermit lassen sich Erkenntnisse über den Übergang von rein geruchlichen zu sensorischen Reizeffekten gewinnen, die für die Bewertung der Adversität und damit für die Einschätzung der gesundheitlichen Relevanz von Gefahrstoffen im Niedrigdosisbereich bedeutsam sind. Zudem ist es möglich, suszeptible Personengruppen zu identifizieren und das Zusammenwirken von Arbeitsbelastungen (z.B. Gestank und Stress) zu untersuchen. Insgesamt nahmen 26 gesunde Nichtraucher (50% Frauen) im Alter von 19 bis 34 Jahren an der Studie teil, darunter 12 sensorisch hyperreaktive Personen. Die Ergebnisse der fMRT-Untersuchungen mit Benzaldehyd (angenehmer Geruch nach Marzipan) zeigen, dass mit zunehmender Geruchsstoffkonzentration bis zur individuellen Geruchsschwelle Aktivierungen in den typischen, für die Geruchsverarbeitung zuständigen Gehirnregionen erkennbar sind. Steigt die Geruchsstoffkonzentration weiter an bis zur individuellen Irritationsschwelle, so ist zusätzlich eine Aktivierung im Thalamus erkennbar, was auf die Beteiligung von schmerzverarbeitenden Zentren hinweist. Damit bestätigen diese ersten Ergebnisse die Hypothese, dass mit zunehmender Stoffkonzentration zunächst die entsprechenden olfaktorischen, dann die trigeminalen Gehirnareale aktiviert werden, jeweils bevor eine bewusste Geruchs- bzw. Reizwahrnehmung erfolgt. Bei der Bearbeitung von Arbeitsgedächtnisaufgaben ohne Geruch ist das erwartete, typische Aktivierungsmuster in den entsprechenden Hirnarealen erkennbar. Wird gleichzeitig Benzaldehyd dargeboten, kommt es zu einer Reduktion dieser Aktivierung. Hier zeigt sich der postulierte Distraktionseffekt: während die Aktivierung in den Gerüche und Reize verarbeitenden Gehirnarealen ansteigt, sinkt die Aktivierung in den Regionen, die mit der Aufgabenbearbeitung assoziiert sind. Allerdings zeigte sich der Distraktionseffekt nicht auf der Verhaltensebene: mit zunehmender Geruchsstoffkonzentration war bis zum dargebotenen Maximum keine Leistungsbeeinträchtigung erkennbar. Suszeptible Personen, hier mit sensorischer Atemwegshyperreaktivität („Capsaicinsensitive“), weisen eine erhöhte Schmerzsensitivität und eine erniedrigte mechanische Schmerzschwelle auf. Auch auf neuronaler Ebene zeigen sich Veränderungen in den Verbindungen zwischen dem olfaktorischen Kortex und dem Default-Mode Netzwerk. Vergleichbare Mechanismen treten bei chronischen Schmerzpatienten auf, wie z.B. bei Patienten mit Fibromyalgie oder mit Schmerzen im unteren Rückenbereich. Hier zeigt sich im Ansatz ein zentraler Wirkungsmechanismus, der auch beim chronischen Schmerzsyndrom erkennbar, dort jedoch um ein Vielfaches stärker ausgeprägt ist. Die bisherigen Ergebnisse deuten darauf hin, dass auch bei gesunden Personen suszeptible Untergruppen mit erhöhter Sensitivität für Geruchs- und Reizstoffe abgegrenzt werden können, die auch bei anderen Wahrnehmungsmodalitäten Einbußen aufweisen.
-branchenübergreifend-
Gefährdungsart(en):Gefahrstoffe
Schlagworte:Chemische Arbeitsstoffe
Weitere Schlagworte zum Projekt:Olfaktometrie, Reizwirkungen, Geruchsbelästigungen, chemische Arbeitsstoffe, obere Atemwege