abgeschlossen 06/2004
An Näharbeitsplätzen wird ein erhöhtes Auftreten von muskulo-skelettalen Beschwerden beobachtet, die von den Näherinnen bevorzugt im Schulter-Arm-Bereich angegeben werden. Als eine wesentliche Ursache für diese Beschwerden gelten ergonomisch ungünstig gestaltete Arbeitsmittel und Arbeitsplätze. Es wird angenommen, dass eine ungünstige Arbeitssituation (Sitzposition, Nähmaschinen-Typen etc.) das individuelle, physiologische Bewegungsverhalten dahingehend beeinflusst, dass das muskulo-skelettale System langfristig negativ beeinträchtigt wird. Die daraus entstehenden Über- und Fehlbelastungen der einzelnen Komponenten (Muskulatur, Knochen, Gelenke und Nervensystem) können längerfristig zu den unter dem Begriff des arbeitsbedingten Schulter-Arm-Syndroms (auch als Repetitive Strain Injury - RSI, Cumulative Trauma Disorders - CTD oder Work Related Musculo-Scelettal Disorders - WRMSD bezeichnet) zusammengefassten Beschwerdebildern führen.
Das Projekt wurde als Forschungsvorhaben des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften unter Einbezug von externen Forschungspartnern (FH München und Ingenieurbüro Schwan Frankfurt) in Form einer ergonomischen Interventionsstudie durchgeführt. Neben den äußeren Belastungsfaktoren wurde durch die FH München auch eine Analyse der Beanspruchungssituation an Näharbeitsplätzen gemacht. Das Ingenieurbüro Schwan entwickelte ergonomische Muster-Näharbeitsplätze, welche im Folgenden in verschiedenen Bereichen der Nähindustrie in der Praxis evaluiert wurden. An der als Feldstudie ausgelegten Untersuchung beteiligten sich acht Unternehmen der Nähindustrie (Schuhe, Technische Textilien, Bekleidung, Stofftiere). In diesen Unternehmen wurde der Ist-Zustand der dort ausgeführten Tätigkeiten an mehreren typischen Näharbeitsplätzen untersucht. Messtechnisch erfasst wurden die körperliche Beanspruchung und die Körperhaltung bei Nähtätigkeit. Die Beanspruchung wurde durch Beurteilung physiologischer Parameter wie Herzschlagfrequenz und Elektrischer Muskel-Aktivität ermittelt. Die Erfassung der Körperhaltungen und -bewegungen (Wirbelsäule, Kopf, Hand-Arm-Schulter-System und untere Extremitäten) wurden mit dem personengebundenen Messsystem CUELA (Computer-unterstütze Erfassung und Langzeit-Analyse von Belastungen des Muskel-Skelettsystems) durchgeführt. Umgebungsbedingungen wurden dokumentiert. Die subjektive Einschätzung der Beanspruchung der beteiligten Arbeitspersonen sowie tätigkeitsbedingte Beschwerden und Erkrankungen wurden ermittelt.
Als Ergebnis dieser Untersuchungen konnten Belastungsfaktoren wie Arbeiten in extremen Gelenkwinkelstellungen, statische Haltungen, Repetitivität und teilweise hohe Kraftaufwendungen an üblichen Näharbeitsplätzen nachgewiesen werden. Wesentliche Ursachen dafür sind tätigkeitsbedingt hohe Sehanforderungen, die geringe Sehabstände erforderlich machen und ungünstig gestaltete Arbeitsplätze, die Näherinnen wenig individuelle Freiräume bieten. Basierend auf diesen Erkenntnissen wurden für die in den Untersuchungen identifizierten Einsatzgebiete ergonomisch verbesserte Näharbeitsplätze entwickelt. Im Rahmen dieses Entwicklungsprozesses wurden auch die firmenspezifischen Anforderungen an die Arbeitsplätze berücksichtigt. Folgende Charakteristiken zeichnen alle Varianten des neu entwickelten ergonomischen Näharbeitsplatzes aus: Erweiterung des Bein- und Fußraums, größere Freiheitsgrade bei der Fuß-Bein-Stellung, individuell anpassbare Einstellung von Tischhöhe und -neigung, Möglichkeit des schnellen Wechsels zwischen sitzender und stehender Tätigkeit, individuell einstellbare Armauflagen am Arbeitstisch und Veränderung der Zuordnung Fußpedal - Arbeitsebene auf dem Nähtisch. Die in enger Zusammenarbeit mit einem industriellen Hersteller entwickelten Näharbeitsplätze wurden in vier der acht beteiligten Unternehmen erprobt und eingesetzt. Der Vergleich der Belastungs- und Beanspruchungsprofile ergab bei Tätigkeit am ergonomisch optimierten Arbeitsplatz eine Verbesserung der Wirbelsäulenhaltung und eine Reduzierung der Arm- und Schulterhaltungen in extremen Gelenkwinkelstellungen. Die Reduzierung körperlicher Beanspruchung war ebenfalls messtechnisch nachweisbar. Die Akzeptanz des ergonomisch neu gestalteten Arbeitsplatzes durch die Näherinnen war hoch, auch die subjektive Beurteilung durch die Versuchspersonen bestätigte die belastungs- und beanspruchungsreduzierende Wirkung der veränderten Arbeitssituation. Der neu entwickelte ergonomische Näharbeitsplatz ist inzwischen kommerziell erhältlich. Mit der in der Untersuchung eingesetzten Methodik zur Evaluation der ergonomischen Interventionsmaßnahmen, welche so auch zur ergonomischen Verbesserung anderer Arbeitplätze genutzt werden könnte, war eine genaue und effiziente Quantifizierung der Belastungs-/Beanspruchungssituation möglich.
Weitere Informationen:
Leder/Textil/Bekleidung
Gefährdungsart(en):Arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren, Gestaltung von Arbeit und Technik
Schlagworte:Ergonomie, Arbeit und Alter, Demographie
Weitere Schlagworte zum Projekt:Ergonomie, Näharbeitsplatz, Schulter-Arm-Syndrom, Repetitive Strain Injury (RSI), Cumulative Trauma Disorder (CTD), Work Related Musculo-Sceletal Disorder (WRMSD), Bewegungsanalyse, Prävention